
Ein scheinbar ganz normaler Tag auf Downton Abbey, dem feudalen Familiensitz von Lord Grantham, des unumstrittenen Patriarchen des blaublütigen Crawley-Clans. Das Gesinde wuselt und dient, Tischdecken und Zeitungen werden für das Frühstück gebügelt, und die Aristokratie lässt sich bedienen. Bis unerwartet ein Telegramm eintrudelt, mit der Nachricht, dass Cousin Patrick, Schwiegersohn in spe und Spitzenreiter in der gesetzlich geregelten Erbfolge der Grantham-Ländereien und des gesamten Vermögens, beim Untergang der "Titanic" ums Leben gekommen ist. Nun steht Robert Crawley plötzlich ohne Erben, aber dafür mit 3 heiratsfähigen Töchtern da (die seinerzeit in der Erbfolge absolut nichts zu melden hatten). Und irgendein Cousin 3. Grades - ein mittelständischer und damit völlig "unstandesgemäßer" Anwalt - steht nun an der Spitze der Erbfolge...
Dieser nette Sidekick auf Eisberg und "unsinkbare Schiffe" bildet nicht nur die Exposition der Serie und definiert deren Zeitepoche, sondern er referenziert auch gleich die Wandlungen des frühen 20. Jahrhunderts. Elektrizität statt Kerzen, Automobile statt Pferde, Adrenalin statt Aderlass. Der Eintritt in den 1. Weltkrieg steht vor der Tür, Reformen, Parteien, Gewerkschaften, Menschenrechte. An etablierten Fundamenten der Aristokratie wird gerüttelt, und auch der britische Adel und dessen Privilegien/Besitzstände scheinen nicht mehr "unsinkbar" zu sein...
Die Konfrontation zwischen "Diener" und "Herrn", zwischen "Adel" und "Bürgertum", zwischen "Demokratie" und "herrschaftlicher Willkür" wurde sicherlich schon gut und oft z.B. in Der kleine Lord (Little Lord Fauntleroy, 1980) oder auch Das Haus am Eaton Place (Upstairs, Downstairs, 1971–1975) thematisiert. Aber die spielerische Leichtigkeit, mit der hier schon in der ersten Folge - beginnend mit der Titelmelodie - eine wirklich stattliche Anzahl an Charakteren mustergültig etabliert wird, und diese sofort "interessant" macht, ist schon beeindruckend. Okay, Robert Crawley kommt mir als gütiger, weiser, und gerechter Patriarch schon fast etwas zu idealisiert daher, aber insgesamt sind alle Rollen glänzend besetzt. Besonders natürlich Maggie Smith als Inkarnation der Eisernen Lady bzw. des "eisernen Besens". Und während die Strukturen zwischen Standesdünkel, Klassendenken, Etikette, Rollenverhalten und Hierarchien beispielhaft beleuchtet werden, "menschelt" es dazu wunderbar an allen Ecken und Enden. Alle Figuren sind "fassbar", haben Stärken und Schwächen, keine Schwarzweissmalerei, und keine aufdringliche Moral. Grenzen verwischen, unerwartete Abhängigkeiten werden deutlich, und bei allen Klüften und sozialen Unterschieden ist doch schon zu erahnen, "Downton Abbey" - ähnlich wie seinerzeit "Tara" - letztlich "Heimat" und "Geborgenheit" für ALLE symbolisiert... für dessen Integrität es sich zu kämpfen lohnt...
Und so liefert der letzte Satz der zweiten Folge in seiner wunderbaren Absurdität ein vorzügliches Fazit: "United as they are by the strongest ties of all: family and friendship."

Die Schachfiguren sind aufgestellt. Nun freue ich mich darauf, dass sich diese "dysfunctional aristocracy" zusammenraufen muss...